„Minding the Gap“ heißt dieser Blog – und genau das will ich tun: die Zwischenräume aus einer psychologischen Perspektive sichtbar machen. Fachwissen kann vieles erklären, ersetzt aber nicht das Erleben. Genau dazwischen möchte ich schreiben – zwischen Analyse und Alltag, wissenschaftlicher Theorie und persönlicher Realität. Dieser erste Beitrag ist mein Versuch, diesen Rahmen zu setzen.
Ich bin Psychologe – und ich bin psychisch krank.
Das Wissen über meine Erkrankungen schützt mich nicht davor. Es ist ein bisschen wie mit Schwimmen oder Tauchen: Man muss kein guter Taucher sein, um zu wissen, dass man ertrinkt, wenn einem der Sauerstoff ausgeht. Doch das Wissen eines erfahrenen Tauchers geht darüber hinaus.
Er kann alles über die Lunge wissen, wie bestimmte Luft-Gas-Gemische verstoffwechselt werden, welche narkotische Wirkung – den Tiefenrausch – der Stickstoff ab einer bestimmten Tiefe auslösen kann und was dabei mit dem Nervensystem passiert.
Das Wissen über Gewässer, Technik, Ausrüstung und gute Schwimmfähigkeiten sorgt vielleicht dafür, dass ein Taucher besser einschätzen kann, welche Situationen riskant sind und welche nicht. Er weiß vielleicht auch besser, was er sich mit seinen Fähigkeiten zutrauen kann.
Aber trotzdem: In dem Moment, in dem auch der beste Taucher Wasser einatmet, wird er ertrinken.
Zwischen Wissen und Erleben
Manchmal kann zu viel Wissen sogar den gegenteiligen Effekt haben. Gerade Taucher, die ein großes Vertrauen in ihre Erfahrung und Expertise haben, können in die Falle tappen, sich zu überschätzen. Wissen vermittelt in diesem Fall ein falsches Gefühl der Sicherheit.
Was hat das mit psychischen Erkrankungen zu tun? Möglicherweise mehr, als es auf den ersten Blick scheint. Es ist ein Gedankengang, der mir manchmal kommt, wenn ich über meine eigene Situation nachdenke.
Ich kann noch so viel Fachwissen über psychische Erkrankungen, deren mögliche Entstehungsursachen, Einflussfaktoren und Behandlungsmethoden haben – es ändert nichts daran, dass ich krank bin.
Mein Wissen erlaubt mir, manche Muster an mir zu erkennen – teilweise wie im Lehrbuch. Gedankenschleifen, negative Gefühle, was diese Gefühle mit meinen Gedanken machen, wie die daraus resultierenden Gedanken wiederum meine Gefühle beeinflussen. Ich kann das an mir selbst aus einer Meta-Perspektive beobachten, analysieren und in einen wissenschaftlichen Kontext einordnen. Aber es ist trotzdem da. Die Krankheiten verschwinden dadurch nicht.
Manchmal wird es dadurch sogar schlimmer. Schließlich müsste ich es ja besser wissen. An dieser Stelle einen schönen Gruß an die Schuldgefühls-Schleife, von der ich ebenfalls objektiv weiß, dass sie nicht rational ist.
Aber mein Gehirn operiert nicht rein rational. Keines unserer Gehirne tut das (es sei denn, der geneigte Leser ist zufällig ein Androide und heißt Data).

Zwischen Blockade und Bedürfnis
Warum schreibe ich das?
Weil ich es will. Und weil ich es jetzt in diesem Moment kann. Es ist ein kleiner Funke von Selbstwirksamkeit, nach dem ich greifen wollte, bevor er wieder erlischt.
Ich arbeite seit mehreren Wochen an diesem Blog – und seit mehreren Wochen scheitere ich immer wieder am Start. Obwohl ich ein klares Ziel habe und weiß, was ich möchte: über psychologische Themen schreiben, die mich faszinieren.
Ich liebe mein Fachgebiet aufrichtig, verliere mich gerne in Theorien, Konzepten und Kaninchenbauten wissenschaftlicher Texte. Aber sobald ich selbst etwas formulieren will, beginnt der innere Widerstand.
Ist das, was ich schreibe, gut genug?
Habe ich ausreichend recherchiert?
Ist die Strukturierung meines Artikels sinnvoll?
Ist meine Sprache zu hochtrabend, zu flapsig, zu verkopft?
Es muss gut werden.
Ich muss irgendetwas zustande bringen.
Ich muss…
Mein eigener Kopf sabotiert mich – mit bemerkenswerter Ausdauer.
Und das, obwohl ich objektiv weiß, dass genau dieses Grübeln Teil des Problems ist.
Ich setze mich unter massiven Druck.
Aufgrund meiner Erkrankungen bin ich derzeit nicht in der Lage, einen klassischen 9–5-Job auszuüben. Aber Nichtstun ist keine Option. Wenn ich nicht in das bestehende Raster des Arbeitsmarktes passe, muss ich mir eine eigene Nische schaffen – eine, die im besten Fall nicht nur mir selbst, sondern auch anderen etwas bringt. Das ist der Grundgedanke.
Der Blog und der Entschluss für die Freiberuflichkeit ist mein Versuch, mit dem, was mir gerade möglich ist, etwas Sinnvolles zu gestalten. Nicht trotz meiner Erkrankung, sondern mit ihr.
Zwischen Professionalität und Authentizität
Warum schreibe ich also nun all das wie einen Tagebucheintrag, anstatt einen gut strukturierten ersten Artikel über ein psychologisch-wissenschaftliches Thema zu verfassen?
Weil ich ehrlich sein will – zu mir selbst und zu den Personen, die sich hierher verirrt haben oder hierher gefunden haben. Allein dass ich gerade intuitiv zuerst „verirrt“ geschrieben habe, zeigt implizit meine Zweifel daran, etwas schaffen zu können, das gut genug ist, dass es jemand freiwillig lesen würde. Es ist eine Manifestation eines niedrigen Selbstwertes – ein klassisches Symptom für einen depressiven Attributionsstil (der übrigens ein Kandidat für einen eigenen Blogeintrag ist).
Ich hätte diesen Blog so gestalten können, dass er sauber und professionell ist – an einen Algorithmus angepasst, auf eine bestimmte Zielgruppe zugeschnitten. Das wäre vernünftig, schließlich will ich mir damit in irgendeiner Form vielleicht eine Existenz aufbauen.
Aber es wäre auch eine Fassade gewesen. Nicht, weil ich nicht tatsächlich für die Inhalte und Themen brenne, mit denen ich mich beschäftige, sondern weil ein großer Teil des Warum ich einen Blog starte und warum mich bestimmte Themen fesseln, damit unter den Tisch fällt.
Das möchte ich nicht.
Kein perfekter Einstieg – aber ein echter
Was möchte ich stattdessen?
Zum einen tatsächlich über psychologische Themen schreiben. Ich liebe mein Fachgebiet. Ich sehe, lese und lerne selbst konstant neue Dinge und möchte sie mit anderen teilen. Weil ich Wissenschaft und Forschung für jene, die nicht zufällig einen Anwohnerparkschein vor dem akademischen Elfenbeinturm besitzen, greifbarer machen will.
Aber ich schreibe vor allem, weil es mir Spaß macht, über Dinge zu reden und zu berichten, die ich spannend finde. Da ich aus der Ecke der Kognitionspsychologie komme, liegt mein Fokus auf Themen die sich damit beschäftigen was, wie und warum wir denken.
Was ist Kognitionspsychologie?
Kognitionspsychologie ist ein Teilgebiet der Allgemeinen Psychologie. Sie untersucht, wie Menschen Informationen aufnehmen, verarbeiten, speichern und nutzen – also die mentalen Prozesse, die zwischen Reiz und Reaktion ablaufen. Oder vereinfacht gesagt: was „im Kopf“ passiert, bevor wir handeln, fühlen oder urteilen.
Dazu gehören unter anderem:
- Aufmerksamkeit: Worauf richten wir unseren Fokus – und warum?
- Wahrnehmung: Wie wird aus Sinneseindrücken eine Vorstellung von der Welt?
- Gedächtnis: Wie speichern und erinnern wir Informationen?
- Denken: Wie kommen wir zu Einsichten, Entscheidungen und wie lösen wir Probleme?
- Lernen: Wie verändern Erfahrungen unser Wissen und Verhalten?
- Sprache: Wie beeinflusst Sprache unser Denken?
- Handeln: Wie entwickeln wir Ziele und Handlungspläne? Wie steuern diese unser Verhalten?
Kurz gesagt: Die Kognitionspsychologie fragt, wie wir aus Informationen unserer Umwelt sowas wie „Realität“, „Überzeugungen“ oder „gute Gründe“ machen. Und wie diese unsere Handlungen beeinflussen.
Aber ich möchte mir auch die Möglichkeit offenhalten, auf einer Metaebene meinen persönlichen Prozess zu thematisieren und einzubinden – zum Beispiel, welche Gedanken und Probleme damit einhergehen, mit einer eigenen psychischen Erkrankung so ein Projekt zu starten.
Wenn ich in eine Blockade laufe, die es mir nicht erlaubt, einen gut recherchierten Artikel oder Eintrag zu schreiben, will ich die Option haben, stattdessen darüber zu reflektieren, warum das vielleicht gerade der Fall ist: depressive Denkmuster, äußere Einflüsse und Trigger, Perfektionismus, Selbstwert und überhöhte Ansprüche – um nur ein paar charmante Kandidaten zu nennen.
Ich will damit offen umgehen, um zu zeigen, dass Content-Creation nicht immer einen makellosen Anstrich haben muss. Und vielleicht auch, um Menschen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, zu zeigen, dass sie damit nicht allein sind.
Das ist vielleicht ein etwas ungewöhnlicher Einstieg für einen Blog, dessen Hauptziel Wissenschaftskommunikation ist. Der erste Beitrag, den ich eigentlich geplant hatte, war ein Artikel über die Frage, warum es Menschen so schwerfällt, ihre Einstellungen zu ändern. Das hätte ein weites Feld an möglichen Themen eröffnet, die ich darauf aufbauen kann. Stattdessen habe ich nun spontan diesen Weg gewählt.
Ich habe selbst nicht damit gerechnet, so anzufangen. Aber vielleicht ist es genau deshalb ein guter Anfang.

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