Psychosoziale Belastungen, das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und eine verfestigte Opferidentität sind Risikofaktoren die Personen anfällig für die Incel-Ideologie machen können. In Online-Foren entwickeln sich daraus geschlossene Echokammern die Feindbilder erzeugten, Gewalt und extremistische Sprache legitimieren und in Einzelfällen zu realen Taten führen.
November 19, 2025
Influencer der Manosphere tun ihr Bestes Schlimmstes, um Antifeminismus im Netz wieder salonfähig zu machen. Damit bedienen sie genau das Narrativ von Incels, bei denen frauenfeindliche Äußerungen zum „guten“ Umgangston gehören und die zugleich auch eine der Hauptzielgruppen für „Beziehungs-Tips“ à la Andrew Tate darstellen.
In einem früheren Beitrag habe ich bereits über eine Studie berichtet, die sich mit der für Incels typischen Sprache auseinandersetzt und untersucht, wie diese durch die Echokammern in den Foren verstärkt wird.
Die wütende Sprache der Incel-Echokammer
Wut und extremistische Ausdrucksweise sind ein Kernmerkmal der Sprache von Incels in Online-Foren. Eine neue Studie zeigt, dass besonders neue…
Kernmerkmale der Forensprache waren wütende Formulierungen, extremistische Ausdrucksweisen sowie Metaphern, die Frauen entmenschlichen und Gewalt legitimieren.
Offen geblieben ist dabei die Frage, warum sich solche Plattformen überhaupt bilden. Im zweiten Teil möchte ich genau diese Frage näher untersuchen und die zentralen Inhalte der Incel-Ideologie sowie die Prozesse beleuchten, die zur Radikalisierung ihrer Mitglieder führen können.
Die Incel-Ideologie:
Die Incel-Ideologie beruht auf der Überzeugung, dass romantischer und sexueller Erfolg ausschließlich durch angeborene, unveränderliche Faktoren wie Aussehen oder gesellschaftlichen Status bestimmt wird. In Foren und Chatgruppen wird die restliche Bevölkerung strikt in Kategorien wie „Chad“ (sehr attraktiver, erfolgreicher Mann) und „Stacy“ (sehr attraktive Frau) unterteilt. Incels propagieren damit ein strikt hierarchisch organisiertes Weltbild, in dem sie selbst angeblich am unteren Ende der Hackordnung stehen und somit keinen Zugang zu Partnerschaften haben.
Der Grundton innerhalb der Echokammer ist Hetze gegen „Chads“, die Gesellschaft im Allgemeinen und vor allem ein stark frauenfeindliches Narrativ, das Frauen als oberflächlich, manipulativ und zu anspruchsvoll in ihrer Partnerwahl darstellt.
Zentral für dieses Narrativ ist die an die Filmreihe Matrix angelehnte Pill-Methaphorik. Die „Red Pill“ steht in diesem Zusammenhang für das Erkennen dieser „harten Realität“, während die „Black Pill“ den fatalistischen Glauben verkörpert, dass die persönliche Lage unveränderlich sei. Letztere ist dabei häufig mit Gewaltfantasien und Nihilismus verknüpft.
Neue Mitglieder werden häufig durch geteilte Leidensgeschichten, pseudowissenschaftliche Argumente und angeblich „objektive“ Beweise für diese gesellschaftlichen Hierarchien in die Community integriert und in ihrer pessimistischen Weltsicht bestärkt.
Zynischer Fun Fact: Der Begriff „Incel“ wurde ursprünglich von einer Frau geprägt, die sich selbst so bezeichnete. Daraus entstand 1997 das Involuntary Celibate Projekt – eine Inklusive, informative Selbsthilfegruppe, für einsame Personen, mit Schwierigkeiten soziale Anbindung zu finden. Sie diente Betroffenen als Raum, um Erfahrungen und Tipps zu Themen wie Beziehung und Intimität auszutauschen.
Wen das erreicht
Nicht jeder, der Ausgrenzung oder Zurückweisung erfahren hat, schließt sich einem solchen Forum an. Studien deuten jedoch darauf hin, dass insbesondere die Kombination von zwei Risikofaktoren eine Radikalisierung durch Incel-Ideologie begünstigen:
1. Psychosoziale Belastungen:
Viele Incels berichten von Mobbing, Zurückweisung oder sozialer Ausgrenzung. Werden solche Erfahrungen auf vermeintliche persönliche Defizite zurückgeführt, entstehen Frust, Hoffnungslosigkeit und Gefühle der Unzulänglichkeit. Diese begünstigen Rückzug und Isolation. Einsamkeit kann so zur Eintrittspforte werden, da die Suche nach Zugehörigkeit Betroffene oft in Online-Foren führt, in denen ähnliche Erfahrungen geteilt werden.
2. Interpersonelle Opferidentität:
Incels zeigen eine ausgeprägte Tendenz, sich als Opfer zu sehen und dieses Selbstbild zum Kern ihrer Identität zu machen. Diese Haltung entsteht häufig durch wahrgenommene Marginalisierung und erleichtert den Einstieg in Radikalisierungsprozesse, da sie die persönliche Verantwortung mindert und Feindbilder verstärkt.
Vom Einstieg zur Eskalation: Der typische Weg in die Radikalisierung
Aus Forschung, Umfragen und Erfahrungsberichten von Incels ergibt sich ein typischer „Werdegang“, den neue Mitglieder in der Regel durchlaufen.
Das folgende Model ist eine eigenständige Zusammenführung empirisch belegter Mechanismen und Erkenntnisse aus der bisherigen Forschung. Sie stellt keine theoretische Erweiterung dar, sondern eine strukturierte Verdichtung der in Studien dokumentierten Prozesskette:

Warum das manchmal in Gewalt gipfelt
Grob zusammengefasst ist Radikalisierung in Incel-Foren kein plötzliches Ereignis, sondern ein stufenweiser, dynamischer Prozess, der bei einer Teilgruppe in realer Gewalt übergehen kann.
Das 3N-Modell ist ein gängiges Radikalisierungsmodel, nach dem 3 zentrale Komponenten vorliegen müssen, damit dieser extremistische Einstellungen in Gewalt umschlagen:
- Need: Ein zentrales, verletztes Bedürfnis, dass erfüllt werden muss – meist nach Bedeutsamkeit, sozialer Anerkennung oder Selbstwert.
- Narrative: Erklärt, wer schuld ist und welche Aktionen erfolgen müssen, um das Bedürfnis zu stillen – oft inklusive Gewaltlegitimation
- Network: Die Gruppe, die das Narrativ hochhält und das Bedürfnis in eine bestimmte ideologische Richtung lenkt.
Auf Incels übertragen bedeutet ‚Need‘ der Verlust an Bedeutsamkeit durch wiederholte Zurückweisung, ‚Network‘ die Online‑Community und ‚Narrative‘ die Pill‑Metaphorik sowie die Vorstellung, Gewalt sei notwendig, um die Gesellschaft für die ‚erzwungene‘ Einsamkeit zu bestrafen. Auf dieser Grundlage stellt bereits die Selbstidentifikation als Incel einen Risikofaktor für durch Vergeltung motivierte Gewalttaten dar.
Darüber hinaus haben sich aus Analysen von Diskussionen in Incel-Foren haben 4 Hauptgründe herausgebildet, warum Mitglieder Gewalttaten bejahend gegenüberstehen:
- Sie lenken willkommene Aufmerksamkeit auf die Community und ihren Status als Opfer
- Sie ermöglichen Rache für wahrgenommene Ungerechtigkeiten
- Sie verstärken ihre wahrgenommene Männlichkeit
- Gewalt wird als Werkzeug gesehen, um politische Änderungen zugunsten der Gruppe voranzutreiben
Auch das Ausmaß an Frauenfeindlichkeit ist besonders mit einer erhöhten Gewaltbereitschaft assoziiert. In Befragungen stimmten Incels mit stärkeren mysogynen Einstellungen eher Aussagen zu wie „Ich würde vergewaltigen, wenn ich damit davonkommen könnte.“
Es bleibt dennoch wichtig zu betonen, dass der überwiegende Teil der Incels nicht physisch gewalttätig wird. Die Forschungslage ist an dieser Stelle leider noch sehr dünn. Nur wenige Studien haben bisher systematisch gewaltbereite mit nicht‑gewaltbereiten Incels verglichen.
Was Prävention zusätzlich erschwert
Im Gegensatz zu vielen anderen extremistischen Gruppen fehlt der Incel-Ideologie ein gemeinsames politisches Ziel oder eine utopische Vision. Das kann sowohl die Gewaltbereitschaft sowie die Form, in der Gewalt entsteht beeinflussen. Da es keine übergeordnete Strategie oder Ziel gibt, ist Incel-Gewalt selten koordiniert, sondern meist spontan und individuell motiviert. Dadurch werden Angriffe unvorhersehbarer und somit schwerer zu verhindern.
Ein weiteres Problematischer Faktor liegt in den Mechanismen von digitalen Plattformen. Automatische Empfehlungen (z. B. auf YouTube oder Reddit) führen zu immer extremeren Inhalten, sobald eine Person einmal mit Incel-Material in Kontakt gekommen ist. Algorithmen erzeugen damit Echokammern, in die Betroffene unmerklich immer tiefer hineingezogen werden.
Fazit
Psychosoziale Vorbelastungen und verinnerlichte Opferhaltungen gelten als gut belegte Risikofaktoren, die die Incel-Ideologie für manche Personen ansprechend machen. Sie bietet einfache Erklärungen für komplexe Probleme und entlastet ihre Anhänger von persönlicher Verantwortung, indem sie ihnen erlaubt, sich als reine Opfer einer ungerechten Gesellschaft zu sehen.
Innerhalb der Foren verläuft die Radikalisierung stufenweise: von der anfänglichen Suche nach Bestätigung über die Bindung an die Gruppe und die Aneignung ihrer Narrative bis hin zur schrittweisen Desensibilisierung gegenüber Gewalt. Warum dieser Prozess bei einigen Individuen in tatsächliche Gewalt mündet und bei anderen nicht, ist in der Forschung noch mit vielen Fragezeichen versehen. Es gibt jedoch Faktoren, die mit einer erhöhten Gewaltbereitschaft einhergehen – das Ausmaß an Frauenfeindlichkeit ist einer davon.
Auch wenn Andrew Tate mittlerweile an Reichweite verloren hat, wirken seine Narrative in der Manosphere fort, da Empfehlungs-Algorithmen auf Social Media Plattformen und eine wachsende Zahl ähnlicher Influencer sie seine Inhalte weiter verbreiten.
Am Ende wohnt dem Ganzen eine bittere Ironie inne: Die Einsamkeit und soziale Isolation, die Individuen in die Community führen, werden am Ende durch diese verstärkt. Geteiltes Leid und Gruppenidentität spendet zwar ein Zugehörigkeitsgefühl, aber die fatalistische und feindselige Ideologie der Incels kapselt ihre Mitglieder immer stärker von der Außenwelt ab, je tiefer sie dieses Weltbild verinnerlichen.
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