Wut und extremistische Ausdrucksweise sind ein Kernmerkmal der Sprache von Incels in Online-Foren. Eine neue Studie zeigt, dass besonders neue Mitglieder diese wütende Sprache schnell übernehmen und wie das zur Radikalisierung beitragen kann.
Oktober 26, 2025
Wer sind Incels?
„Incels“ (kurz für involuntary celibates) sind meist junge Männer, die trotz Wunsches keine romantische oder sexuelle Beziehung eingehen können.
Viele lehnen Selbstverbesserungsversuche ab, erleben ihre Situation oft als unveränderlich und deuten sie im Rahmen eines deterministischen Weltbilds, in dem Frauen nur an sozial dominanten, attraktiven Männern (sog. „Chads“) interessiert seien.
Die aktuelle Studie von de Roos et al. (2024, Journal of Interpersonal Violence), untersuchte, wie sich Sprache und Emotionen in einer der größten Incel-Online-Communities über die Zeit verändern.
Mit Hilfe automatischer Textanalyse (LIWC-22) werteten die Forschenden über 135.000 Forenbeiträge von 166 aktiven Nutzern aus, um zu messen, wie sich Wut, Traurigkeit und extremistischer Sprachgebrauch im Verlauf von drei Monaten entwickeln.
Determinismus ist die Auffassung, dass Ereignisse durch äußere oder innere Ursachen vollständig vorbestimmt sind. Persönliche Lebensumstände u. menschliches Verhalten werden als unveränderlich erlebt, was Hilflosigkeit und Passivität verstärkt.
Kernergebnisse der Studie:
- Wut als zentrales Ausgangsmerkmal: Im Vergleich zu Twitter, Facebook und Reddit enthielten Incel-Beiträge deutlich mehr wütende Formulierungen. Besonders neue Mitglieder zeigten von Beginn an hohe Werte in Wut und Traurigkeit sowie eine bereits vorhandene Vertrautheit mit der Incel-spezifischen Sprache.
- Opferidentität & Misogynie: Viele definieren sich als Opfer eines Systems, das sie ausschließt und hegen eine tief verankerte Abneigung gegenüber Frauen. Diese Opfermentalität wird zu einem zentralen Teil des Selbstbilds und verstärkt Abwehr, Misstrauen und Aggression.
- Wut wird extremistisch ausgedrückt: Es bestand ein deutlicher Zusammenhang zwischen Wut und dem vermehrten Gebrauch extremistischer Sprache. Das deutet darauf hin, dass Wut und die Übernahme solcher Rhetorik eine Radikalisierungsdynamik bilden.
- Zunehmend feindselige Sprache: In den ersten Wochen stieg die Nutzung von gewaltbezogenen und frauenfeindlichen Begriffen an, stabilisierte sich aber später.
- Traurigkeit blieb stabil: Traurige Sprache blieb nach Forenbeitritt relativ konstant und ähnelte eher den Mustern anderer Plattformen. Sie war zudem, im Gegensatz zu Wut, nicht mit extremistischen Begriffen verknüpft.
- Kommunikationsstil und Gruppenanpassung: Nutzer zeigten durch ihr Posting Verhalten eine stärkere sprachliche Anpassung an Gruppennormen und Fokus auf soziale Rangordnungen im Vergleich zu anderen Plattformen. Das Forum. wird dadurch zu einer Echokammer in der negative Emotionen sozial bestätigt werden.
Relevanz
Die Ergebnisse sprechen dafür, dass Incel-Foren nicht zwingend der Ursprung, sondern eher Verstärker bestehender emotionaler Grundlast sind.
Viele Teilnehmer bringen bereits vor Eintritt in die Community ein hohes Maß an Frust, Einsamkeit und depressive Tendenzen mit.
Ein Kernmerkmal von Incels ist ihre verinnerlichte Opferidentität, die eng mit Vorstellungen von Männlichkeit und erlebter romantischer Zurückweisung verknüpft ist sowie der Überzeugung, gesellschaftlich benachteiligt zu werden.
Diese Haltung kann zu einem frühen Stadium der Radikalisierung werden, besonders wenn sie mit dem Gefühl sozialer Ausgrenzung und Ungerechtigkeit zusammentrifft.
Im Forum finden betroffene junge Männer zunächst Zugehörigkeit, die jedoch oft in kollektive Wut und Feindbilder umschlägt.
Diese Dynamik wird durch Echokammer-Effekte und soziale Normen innerhalb der Gruppe verstärkt: Wer dazugehören will, passt seine Sprache an, was den Ausdruck von Wut und Frauenfeindlichkeit normalisiert. Teils mit fatalen Folgen, da einige Incels bereit sind ihre Wut in realen Gewalthandlungen zu übersetzen – bis hin zu Amokläufen.
Ähnliche Entwicklungen wurden auch in Onlinegruppen der Neuen Rechten beobachtet, wo über die Zeit ein linearer Anstieg von Wut und Hassrede festgestellt wurde.
Das unterstreicht die Notwendigkeit, wütende Sprache als potenzielles Warnsignal für radikale Gewaltbereitschaft innerhalb dieser Communities ernst zu nehmen, zu beobachten und anzugehen.
Was tun ? – Praktische Implikationen
Um diesem Radikalisierungsprozess vorzubeugen empfehlen die Autor*Innen:
- Algorithmische Empfehlungsstrukturen auf großen Plattformen genauer darauf zu prüfen, wie und wann sie junge Männer in solche Communities leiten.
- Leichterer Zugang zu psychologische Unterstützungsangebote und Resilienztrainings in gängigen Online-Umgebungen (z. B. YouTube oder X)
- Training von Fachpersonal wie Psychotherapeuten in Themen Einsamkeit, Wut und Online-Verhalten junger Männer, um gefährliche Dynamiken frühzeitig zu erkennen und ansprechen zu können.
Resilienz beschreibt die psychische Widerstandsfähigkeit
eines Menschen gegenüber Belastung, Stress oder Krisen. Förderliche Faktoren sind z.B. soziale Unterstützung, Problemlösefähigkeit und emotionale Selbstregulation.
Fazit
Die Studie zeigt, wie persönliche Frustration, soziale Isolation und Gruppendynamiken online ineinandergreifen können.
Incel-Foren bieten scheinbar Zugehörigkeit, verstärken aber langfristig das Gefühl von Ohnmacht und Feindseligkeit. Wenn emotionale Belastungen dort durch Gruppendynamiken verstärkt werden, entstehen Echokammern, in denen Wut zur verbindenden Sprache wird.
Die daraus resultierende Radikalisierung ist am Ende kein plötzliches Ereignis, sondern das Ergebnis vieler kleiner sozialer Bestätigungen.
Kurz gesagt: Das Problem beginnt (meistens) nicht im Internet – aber es wächst dort. Und Wütende Sprache ist ein Warnsignal dafür, das ernstgenommen werden sollte.
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